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man weiss doch schon lange, dass die realität nur ein schwacher ersatz
für die phantasie ist. bringt man euch nicht mal das nötigste
bei?
Heiner Link |
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eit
zu gehen, sagt sie, als sie seinen Kopf aus der Kotzelache zieht. Und schiebt
ihn ins Bad, wo sie versucht, ihn unter Wasser zu halten. Er rutscht, knallt
von unten gegen den Hahn und fällt rückwärts auf den dreckigen
Kachelfussboden. Lischke, schreit sie, reiss Dich zusammen, wischt ihm mit
dem hartem Klopapier das Blut aus dem Gesicht, zerrt an ihm, bis er endlich
steht, schlecht zwar, und schubst ihn durch den Flur. Er legt den Arm um
sie, ey, du erwürgst mich, und sabbert, lässt sich ficken von
dem Arschloch, lässt sich ein Kind machen und sie sagt, vielleicht
fickt sie ihn ja, als sie fast die Treppe runter-fallen, eine Pause wünscht
er sich, sie auch und sie sitzen auf dem Treppenabsatz. Lischkes Kopf plumpst
auf ihre Schulter und sie rückt ein Stückchen ab, den seine Haare
sind voller Kotze, der Hausflur ist frisch gestrichen, mit Ölfarbe.
Eine zerknautschte Weichpackung, sie nennt das Weichpackung, dauert ewig
bis krumme Kippen rausgefummelt sind, sie ist betrunken, und dann auch noch
sowas. Lischke sagt, ich hab dich so lieb, bist echt die Beste, meine beste
Freundin, starrt auf die Glut, als rauchte er das erste Mal. Zieht nicht,
guckt nur dem Verglimmen zu.
Als sie aus dem Bad kommt, liegt er diagonal, er schnarcht, sein Mund steht
offen, ein Spuckerinnsal läuft seine Backe runter und hat einen nassen
Fleck auf dem Bettlaken gemacht. Sie zieht die Schuhe wieder an und geht.
Er wird schon nicht ersticken. |
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egen
drei zu Borg wegen Schrippen. Borg ist gross und dick und voller bläulicher
Tätowierungen. Es riecht nach ranziger Butter und in der Vitrine liegen
Hackepeterstullen, Eierstullen und welche mit Käse.
Lischke atmet. Auf dem Kopfkissen sind braune Flecken. Kaffeeaufsetzen.
Lüften. Ein Stück Tisch freiräumen. Badezimmerduschgeräusche,
er kommt in die Küche, ein Pflaster auf der Stirn und Schlafknitter
im Gesicht, Morgen, leise, heiser. Man verbrennt sich die Lippen am heissen
Kaffeeglas. Sie sagt, vielleicht gibste mir ein bisschen Taxigeld, war mühsam
einen zu finden, der uns mitnimmt. Hunger haben sie nicht. Und, fragt Lischke,
und sie, ich interessiere mich nicht fürs Detail, bin mehr fürs
Grobe. Sie kichern und ihre Zehen berühren sich unter dem Tisch, willst
du mich heiraten, und sie kann gar nicht mehr aufhören. Wie kannst
Du bloss schon wieder rauchen. Immer. |
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ie
stützt sich auf den Herd, zieht ihre Hand schnell zurück und wischt
sie an ihrer Hose ab. Als F. versucht aufzustehen tritt Lischke ihm noch
einmal den Schuh in den Magen. F. krümmt sich zusammen, dreht sich
zur Wand und stöhnt. Hör jetzt auf, sagt sie, bitte, und wickelt
sich enger in ihre Jacke. F. schützt seinen Hinterkopf mit verschränkten
Armen. Liegt da, bewegt sich nicht. Als sie sich hinunter beugen will, zieht
Lischke sie an der Hand zurück, sei ein braves Mädchen, komm jetzt.
Im dunklen Flur stolpern sie über Sachen. Wie man so leben kann fragt
sich Lischke, leben in einer Müllhalde. Und dieser Gestank.
Im Auto singt er she's so sophisticated und klopft mit dem Zeigefinger den
Takt aufs Lenkrad. Die Lüftung bläst Rinnsale an die Scheiben
und er dreht den Kopf zu ihr, auf ihrem T-Shirt steht violent in Schreibschrift,
er liest es laut vor und lacht. Sie hat die Augen geschlossen. |
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ielleicht
sollte ich ihm einfach eine reinhauen sagt sie, und Lischke sieht gleich
ein bisschen glücklicher aus. Dann wird er schon damit aufhören.
Sie versucht ein Lächeln, schreibt tatsächlich "Sie versucht
ein Lächeln." Das ist gut sagt Lischke und schaut auf ihre kirschroten
Fussnägel, die sich bewegen. Schreib das auf. Wie Würmer, deine
Zehen. Und dann. Wenn man innerlich verfault, wenn ich aufwache, träumte
davon wie es innen aussieht, verkohlt, vermodert, dann kann ich nicht mehr
schlafen, verstehst du? Es spannt wegen der Gase, da entstehen Gase und
die Haut wird immer dünner. Und dann platzt du? Ja Lischke, du Arschloch
dann platze ich, und die ganze Scheisse versaut dir deinen Fussboden, deinen
verspiessten Fussboden, auf den Du so gut aufpasst.
Aufstehend, in die Schlappen schlüpfen, und mit diesem nicht besonders
grazilen Gang geht sie zur Tür ohne sich zu drehen und er brüllt
hau doch ab und das macht sie, knallt sie nicht mal zu. |
|
ie
sitzen eng beieinander. Es ist Weihnachten und Lischke hat sich vorgenommen,
nicht mehr rumzubrüllen, wenn sie morgens mit dem Geschirr klappert.
Wenn sie seine Küche aufräumt. Lischke schläft sehr schlecht,
vorallem wenn sie da ist. Er steht also nachts auf und legt sich auf das
Sofa im Wohnzimmer. Manchmal gelingt es dann, oft aber nicht und er ist
übel gelaunt am Morgen. Sie bringt ihm einen Kaffe ans Bett, weil er
das sehr gern hat, und sie auch, weil es ihn ein bisschen besänftigt.
Wenn sie den Kaffee aufsetzt, versucht sie keinen Lärm zu machen, damit
er nicht aufwacht. Das ist seht schwer, denn sie muss alles spülen,
was sie zum Kaffeemachen braucht, den Simmertopf, die Espressomaschine und
die Tasse, eine, denn sie mag keinen Kaffee. Lischkes Küche stinkt.
Aus dem Abfluss der Dusche. Aus den leeren Flaschen. Aus dem Stapel abgefressener
Teller, der sich auf dem Kühlschrank stapelt, in dem es schimmelt unten.
Lischke findet sich ordentlich. Oder sagen wir gut organisiert. |
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anchmal
geht sie morgens früh die Treppe rauf auf das Dach. Vorbei an Lischkes
altem Gasherd, der auf dem Absatz steht und mit Hilfe eines zerfransten
Bretts den Dachstuhl abstützt. Durch die zerschossene Metalltür.
Dann sitzt sie zwischen den winterleeren Zinkwannen in denen Django seine
Hanfpflanzen zieht, ab und an ist Django da, wacht gerade auf, und sie teilen
sich den Morgenjoint. Django hat eine ganz hohe Stimme, und wenn er lacht,
lacht er so glockenhell, dass es eine Freude ist. Django hat auf der Strasse
gelebt, aber er hat sich wieder gefangen sagt Lischke. Im Sommer ist er
manchmal für ein paar Wochen verschwunden, er sagt, wenn es warm ist
will er lieber auf Zimmerdecken verzichten, und Lischke glaubt tatsächlich
er sei verreist. Dann soll er die Post aus dem Kasten nehmen, obwohl Django
nie Post bekommt und irgendwelche komischen Typen wohnen im Dritten.
Wenn sie also auf dem Dach sitzt schaut sie den Turm an, dessen Plattform
sich dreht und der das Licht reflektiert, wenn die Sonne scheint. Heute
sieht er aus, als hätte man ihn oben abgesägt. Und es schneit.
Gleich wird er aufwachen. |
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ennst
Du das fragt Django und singt engelsgleich zwischen den Zügen, trägt
fingerlose Handschuhe und erklärt, ist aus dem diesem jenem Film, sie:
Kenn ich nicht, hört sich hübsch an, er singt und summt, zieht,
raucht und ascht auf die Dachpappe. Sentimental, ertappt beim Schneeflocken
auf Handflächen beim Schmilzen zusehen. Oh ja die Vergänglichkeit.
Ich muss dann mal sagt sie, aufstehen, und er, beim Weggehen, bumst ihr
eigentlich? Quatsch, während ihre Farbe sich verändert. Drinnen
hört sie die Spülung, Aussenklo, halbe Treppe und sie versenkt
die Nase im Schal, Männerpisse. |
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nd
was machste jetz will Lischke wissen. Rumhuren sag ich, jeden Holzfäller
nehm ich mit nach hause, und ich hätte es wissen sollen, der Reiher,
der hing da, hab ich zu ihr gesagt, hat sich erdrosselt, selber, und irgendwie
ist dabei der Schnabel abgerissen, der Kopf und die Eingeweide hingen alle
raus, Lale sagt, Mensch das Universum, ein Zeichen und ich zu ihr, Schätzchen,
du nimmst zu viele Drogen. (Ob sie manchmal luftholen muss beim Sprechen?)
Dann wieder ich. Könnt ihr mal von was anderem reden? Diese Verschwörungstheorien
hängen mir sonst wo. Fehlt nur noch der Mossad. Lales Einsatz (2),
ja der Mossad, ich sage, ich habe mir heute ein paar Schuhe für vierhundert
Mark gekauft, seit Wochen kann ich an nichts anderes denken. Jetzt stehen
sie da und ich fühle mich leer. Lischke lacht blöde und verschaltet
sich. Im Auto liegen. Bananenschalen, Mandarinenschalen, Burgerpapier, Stanniol,
Reste von Kippenschachteln, Kippen, Salzbrezeln, ein Schwammtuch, Socken,
Sonnenbrillen, Kaugummi, neu und gebraucht. Die Kassetten sind sorgfältig
beschriftet und verhüllt, wie auch die Cds. Alphabetisch geordnet.
Ich zu Lale: Meinst Du nicht, du solltest dein Drogenproblem angehn? Halts
Maul schreit Lale aus heiterem Himmel, du egozentrische kaltherzige dumme
Sau, und Lischke lacht und lacht und fährt Schlangenlinien.
In das Auto muss man durch den Kofferraum einsteigen, denn die Junkies haben
die Zentralverriegelung kaputtgemacht. Das Radio wollten sie dann aber doch
nicht. |
|
nd
dann. Da geht eine Art Rollgardine runter, steht POLIZEI drauf. Lischke
fährt rechts ran. Der sagt Ihr Kennzeichen ist unlesbar und Lischke
Wie? Na ausgebleicht. Ausgeblichen sagt Lischke und der andere Papiere bitte.
Lale drückt den Joint aus und macht die Musik ein bisschen lauter.
Singt mit, kann nur den Refrain. Singt falsch. Die Papiere sind da und auch
in Ordnung. Bin eben gut organisiert, findet Lischke. Der Polizist möchte
das Kennzeichen in drei Tagen in Ordnung gebracht wissen, abzusegnen von
Ihrer zuständigen Polizeidienststelle. Kostet sonst.
Lale sitzt auf ihren Waden und baut, das geht sehr schnell, da sie mit ihren
Fingern selten anderes tut, ausser vielleicht an Lischke herum zu fummeln,
aber das weiss keiner so genau. Auf den dürren Oberschenkeln liegt
der lila Weltatlas, der immer zur Hand ist. Lales Joints sind die schönsten
finde ich, wie überhaupt Lale die Schönste ist. Pflaumenfarbene
Augenringe zu grasgrüner Iris, Porzellanhaut, sehr gerade Brauen. Ein
riesiger Mund. Als ich reinkomme. Alle auf der dreiteiligen Cordgarnitur,
die das Durchgangszimmer verstopft, wurde da hingeschoben, Lischke wohnt
nämlich möbliert, und der Vermieter hat einen sehr schlechten
Geschmack, das kann jeder sehen.
Er geht dann später mit mir runter, ich Bierholen, und er malt das
Kennzeichen mit silberfarbenem Edding nach. Muss heute noch dahin. Wohin
eigentlich? |
|
ie
geht das blaue Zeug kaufen an der Tankstelle. Als sie zurückkommt hat
Lischke den Wasserbehälter bis zum Rand gefüllt. Kein Platz für
das blaue Zeug. Frostschutz heisst das sagt Lischke, der dann mit Schwung
die Kühlerhaube runterfallen lässt, da bricht ein Stück blasiger
Rost heraus, ein Loch, faustgross. Ob das was ausmacht, ausser für
die Aerodynamik, man sollte vielleicht was drüber kleben, ATOMKRAFT
NEIN DANKE hätte die passende Grösse, gibt's aber nicht mehr.
Diesmal ist das Wischwasser nicht leer. Eingefroren sagt Django, der mit
dem Hund hinten sitzt. Der Hund heisst Ernest und ist was mit Mastiff. Lischke
schweigt, sie kichert, keiner sieht was wegen Schneematsch. Was für
eine Idee, bei solchem Wetter soweit zu fahren.
Er würde ihr ein Haus auf Stelzen bauen sagt der Theaterwissenschaftler
gerade, als sie auf dem Sofa im Erker liegen und an die fleckige Decke schauen,
den Hund zwischen sich. Der sei sonst gar nicht so anhänglich, Django
erklärt, Ernest wird bald läufig. Ein Haus auf Stelzen im See,
mit dem Schlafzimmer im Ersten, wegen der Hochwasser, als Lischke ranschwankt,
lallt, du hörst dir auch jeden Scheiss an. Stimmt sagt sie, und der
Theaterwissenschaftler ist eingeschlafen, Ernest aber aufgewacht, leckt
ihre Hand. |
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enn
sie mit dem Theaterwissenschaftler im Botschaftsviertel spaziert macht er
für sie die Krähen nach. Dazu hüpft er herum und sieht blöde
aus. Sie haben Ernest dabei, meisstens, denn Ernest wohnt bei ihr und Django
ist verschwunden. Bin bald zurück hat er geschrieben und den Schüssel
druntergeklebt. Der Wind ist so stark, dass die Krähen seitwärts
fliegen, und auch der junge Mann, der behauptet, das sei lediglich eine
Frage der Konzentration. An wen denkst du, fragt er, wenn er da liegt, auf
dem nassen Gras und ihre Brauen nachzeichnet, das scheint nicht verboten,
aber Antworten gibt es trotzdem keine. Sie summt: Und ich denke ganz kurz,
daß ich jetzt glücklich bin und du sagst: Wir sind die traurigsten
Menschen von ganz Berlin.
Ernest macht Flecken auf den Fussboden, überlegt wird, ob man ihr
eine von Lischkes Unterhosen anziehen sollte, aber sie glaubt, sagt sie,
auch Hunde möchten nicht lächerlich aussehen. |
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ischke
kippt mit dem Stuhl nach hinten, um in das Waschbecken zu aschen. Über
die Schulter. Das erste Mal. Die sitzt jetzt am Bahnhof Eberswalder und
fragt nach Euro. Da kam dann ein Brief, von einer Stelle, ich sollte einen
Test machen, weil Frau Soundso, ich weiss nicht mehr, wie die Krankheit
hiess, also AIDS war es nicht. Ich hatte dann ja auch nix. An dem Bahnhof
steig ich nie vorne aus, damit ich sie nicht treffe, wie sie da hockt mit
ihrem Köter, sieht echt scheisse aus, nicht so wie damals. Ich hatte
erstmal die Schnauze voll von Vögeln. Und jetzt das. Wie hiess die
bloss? Also, es wäre besser du gehst auch. Ist aber eher unwahrscheinlich,
hat sie gesagt. Tut mir leid. Echt. Er hat gerade Geld.
Er macht einen neuen Film, hält Hof in Charlottenburg, wo alle um einen
langen Tisch herumsitzen und überbackenen Ziegenkäse essen, sehr
winzigen, und Hühnerspiesschen, wo sich der Kellner nicht entschuldigt,
wenn er sich dreimal verrechnet. Sie am anderen Ende, ganz still. Die Nachbarin
spricht über die Vorteile von Bier gegenüber Wein, der Gesundheit
zur Liebe. Lischke ist laut und umzingelt von bemalten Schauspielerinnen.
Woher kennen wir uns eigentlich fragt die Nachbarin, aus dem Fernsehen sagt
sie. Und geht auf die Toilette um sich zu übergeben. |
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jangos
Schwester ist Mitte Zwanzig. Stehengeblieben auf dem geistigen Niveau einer
Zehnjährigen sagt Django, wenn sie nicht dabei ist. Jetzt sitzt sie
neben ihm und zupft an seinem Ärmel und erzählt von einem Film
und kichert und zupft und wirft den Kopf zurück. Er regt sich nicht
und summt, wie Django immer summt, nicht eine Melodie, einfach Töne,
verzieht nicht einmal das Gesicht und seine Schwester zerrt und zieht an
seiner Hand und lacht und hört nicht auf. Lischke kommt herein gepoltert,
schreiend, diese exaltierten Schauspielertanten, die sollte man alle an
die Wand stellen, warum zum Teufel machen die nie was man ihnen sagt, alles
falsch, sogar, wenn sie nur sich selbst spielen sollen. Und Django summt
und Lale dreht in ihren schwarzmellierten Haaren mit den Fingern, schaut
auf den Boden, in der anderen Hand die heissgerauchte Zigarette mit der
langen Glut, weniger kiffen hat sie gesagt will sie von jetzt an und raucht
Kette mit Tabak. Ernest liegt auf ihrem Schoss, angenehm warm, gut gegen
Regelschmerzen findet sie, der Hund träumt und zuckt mit den Beinen,
wird ein Stückchen runtergeschoben irgendwann, denn die Schulter bohrt
sich in den Magen.
Nur die Schwester machte noch glucksende Geräusche, sie sieht eigentlich
ganz normal aus, wenn sie nicht redet. Und körperlich sei alles richtig
entwickelt meint Lischke, und der weiss das ganz genau. |
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arum
mache ich das alles eigentlich? Weil Du meine liebste Freundin bist sagt
Lischke und Lale, ja genau, warum eigentlich.
Und dann geht es damit erst mal nicht weiter, denn sie müssen aussteigen.
Sind schon ewig unterwegs, mit den Öffentlichen, das Auto hat sich
vorläufig verabschiedet. U-Bahn, Bus, eine wirklich schlechte Anbindung
findet Lischke, und das obwohl hier Tausende von Menschen wohnen. Er kennt
den Weg, Grün verteilt zwischen den ewig gleichen Blocks, nicht eben
hoch, mit riesigen Hausnummern. Gelb, rosa und hellblau, die Aufgänge
draussen, Fassaden vollgeklebt mit langen Balkonen, eine Tür an der
anderen und leere Blumenkästen trödeln an den Geländern.
Meinst du, wir treffen ihn fragt sie und Lischke wird gleich wieder sauer.
Quatsch. Weiss er, dass du kommst? Schliesslich ist er dein Vater. Toller
Vater, keine Ahnung, ist mir auch egal. Konservierte Sechziger, die Blocks
sind sicher drinnen wie draussen. Klar sagt Lischke, Tupperwareküchen,
Dralonspitzendeckchen auf hellem Schleiflack, na und, gibt's doch noch überall.
Oma wohnt im dritten Stock, es gibt keinen Aufzug, ein Zivildienstleistender
bringt den Einkauf und macht ein bisschen klar Schiff sagt Oma. Sie sieht
fast nichts mehr, irgendein Star, trägt trotzdem eine grosse graue
Brille, schön, die Kinder, nur herein in meine bescheidenen Gemächer.
Schleiflack hell und Keks trocken, Omas braungefleckte Hand auf der von
Lale, Kindchen, dass der Junge so ein Glück hat. Ich muss raus rauchen
sagt Lale.
Dein Vater fragt nach dir, und sie bleibt doch, denn der Vater ist ein versoffener
KPD-Aktivist, frühberentet wegen Invalide, wegen Suff und hat Lischkes
Mutter sitzen lassen. Dann ist er in den Westen, Mutti besuchen und geblieben.
In Neukölln. Meine Tochter und ein Kommunist, die andere, die katholische
Oma aus Pommern hat das nie verkraftet. |
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-Bahnhof
Zoologischer Garten, Richtung Pankow. Der Wachmann kniet auf ihm, auf seinem
Brustkorb, der strampelt mit den Beinen und gurgelt, Schweine, lasst mich
los ihr Schweine. Die Leute bleiben stehn, stehn und glotzen, der andere
in der taillierten blauen Jacke bellt: Weiter, hier gibt nichts, im Chor
mit seinem maulversperrten kahlgeschornen Hund. Möchte an die Gurgel,
zieht an der Leine wie verrückt, einer liegt und strampelt in einer
Silberpfütze, irgendein besoffener Penner. Lischke läuft schneller
und klar ist was er denkt und sie sagt, ey, ist doch glamourös, echt
Arbeiterbewegung, dein Vater mein ich und greift nach seiner Hand. Sei nur
einmal still.
Achtzehn Stationen still. Und dann hinten raus, wegen der Zerlumpten, die
da sitzt, mit Hund. Mit Zahnlücken und vernarbten Venen. Zuhause Bier.
Der war Architekt, sehr schlau, sehr charmant. Sehr launisch und schweren
Mutes. Du hast seine Augen sagt Oma, mein Junge. Wie hat sie das denn gesehen.
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aja,
sagt Lischke, weil irgendwann fängt ja jeder mal an zu quatschen, das
letzte Mal, oder eher das einzige Mal habe ich ihn an meinem Achtzehnten
gesehen. Wir haben uns geschrieben vorher, du weisst ja, Teenager, wollte
halt wissen, wie er so ist, mein Alter. Dann kam er wirklich an, zu meinem
Geburtstag, extra aus dem Westen. Mit so einem blauen Suhrkamptaschenbuch,
hatte wohl vergessen, dass es bei uns auch Bücher gab. Hesse. Muss
man sich mal vorstellen. Und mit Widmung; "Die Jugend ist wie eine
Krankheit, aber sie wird mit jedem Tag besser." Zack. Krickelkrackelsäuferschrift.
Nach fünfzehn Jahren. Achja, und zwanzig Westmark. Das war's. Das Thema
war dann erledigt. |
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er
Nachbar in der Tür, als sie gerade gehen will, es gibt nichts mehr
zu trinken. Angelockt von der Musik, mit einem Fläschchen Wein, im
güldnen Netz. Django singt, irgendwann James Brown, ruft auch, die
Pausen, ey die Pausen sind das Allergeilste, der hört einfach auf,
der Wahnsinn. Einfach aufhören. Also mehr Wein.
Der Nachbar ist bauchfrei mit sehr schönem Bauch, den schaut sie an
und Django auch und dann erzählt er. Vom Marmor an die Wand malen.
Er tut nichts anderes. Und von der fetten Frau, die auf dem Sofa schläft,
im arabischen Zimmer. Die Frau war da zum essen und jetzt schläft sie
besoffen auf dem Sofa, so fett sei sie, dass er nicht an ihr vorbeikäme,
schön, dass ihr noch wach seid. Auf englisch, denn er ist Franzose.
Sie gehen dann runter und schauen den Marmor an und die fette Frau. Die
schnarcht. Ausserdem hat er noch ein Spiegelzimmer und ein afrikanisches.
Der Marmor sieht gut aus, ganz echt. |
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ein
Taxigeld. Kein Nachtbus, der nervt. Zu betrunken für zu Fuss und nicht
bei Lischke schlafen. Django, flöten, ob ich wohl auf der Matratze?
Die ist eigentlich ekelhaft. Bestimmt aus einem Container. Also, Django,
ob ich wohl hier schlafen könnte? Der Nachbar will nicht gehen. Sitzt
und schenkt nach und der Wein wird nicht leer. Und spricht schlechtes Englisch
zum Thema Südafrika. Da hat er mal gelebt, mit seinem Freund. Und in
Marokko. Und das Haus, das war sehr schön, alles Marmor, wurde aber
dann abgerissen. |
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ufhören
schreit Lischke, ich kann das nicht mehr ertragen, für soviel Dreck
kommt man bestimmt ins Guinessbuch. Klappt den Mund zu und schenkt sich
Bier nach. Aber was reg ich mich eigentlich auf, das soll ja nicht gesund
sein. Starrt den Nachbarn an, mehr ein Funkeln, und dann nochmal Halts Maul
sonst hau ich dir paar rein. Und jetz Abflug. Das war anders geplant. Lischke
wollte arbeiten die Nacht über.
Weisst du, er hat sich wieder beruhigt, sie sitzen auf dem Zweisitzer der
Polstergarnitur aus Cord, es gibt noch einen Sessel und einen Dreisitzer.
Weisst du, und dann bemerkt man, dass sich alles wiederholt. Erzähle
dir von etwas, das wichtig war, so wie dem vor dir, dem nach dir, man erzählt
immer die selben Scheissgeschichten sein ganzes Leben lang. Bekommt immer
die selben Scheissgeschichten erzählt. Weisst Du, damals, die Frau
im Schreibwarenladen, die hat mir immer Campinos geschenkt. Einmal wäre
ich fast erstickt, das Ding hing fest in meinem Hals und Frau Grossman hat
mir die Arme hochgerissen, da ist es wieder rausgerutscht. Ein Haus, ein
Ferienhaus am Meer, das würde ich Dir gerne zeigen. Jede Verflossene
war schon da, jede die kommt darf auch. Eine Palette hat man, sechs Farben.
Ohne Mischen. |
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chlafen.
In schlechter Luft. Django im Sessel, mit den Beinen über der Armlehne.
Lischke gekrümmt auf dem Zweisitzer. Speichel angetrocknet auf bleichen
Wangen. Bartschatten. Lale mit den Ellenbogen im Trockengestrüpp der
Plastikblumenkästen, den Kopf im morgendlichen Zwielicht. Zeit zu gehen.
Auf der Strasse ein paar Übriggebliebene, grau wie der Wind. Ein paar
die streiten laut und sich schubsen. Fällt einer um, gegen die zartorange
Hauswand, getaucht in Strassenlampenlicht. Schliemann ist noch auf. Wir
trinken morgens Bier, dazu grosses Frühstück. Zwei Euro Dreissig.
Die Ramones machen Krach und sie muss warten bis sie ihre Cabinets bekommt.
Zweivierzig. Die olivfarbene Bardame lauscht reglos der Anklage über
mangelnde Deutschkenntnisse, der Chef kippt langsam nach vorne, bis sich
ihre Gesichter fast berühren, und sie schlägt die Lider nieder.
Dann nochmal. Viel später doch noch Zigaretten, der grosse Hund, der
im Weg liegt jault auch. Still sagt der grossporigen Besitzer. Meinste mich
sagt Lale. Draussen ein Schauer. |
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portler
mag sie nicht sagt Lale. Zu leistungsorientiert. Die Verfressenen seien
ihr lieber, die Unkontrollierten, Disziplinlosen. Das sei interessant finde
ich, und schau auf ihre Hand die liegt auf dem Knie des Theaterwissenschaftlers.
Der nach Askese aussieht. Mit eingefallenem Gesicht. Und zuckendem Lid.
Das macht rote Augen. Das Heulen. Das Verlassen. Olfaktorische Erinnerungen
nennt sie das mit den vergessenen Klamotten. In ein geschwätziges Vogelzwitschern,
in den Rest der Nacht, die Morgenträume in denen alles durcheinander
geht. Besser als verlassen werden. Dann fängt man eben wieder von vorne
an, so sei das eben. Das Leben. Er hatte Sommersprossen auf den Armen, das
sah hübsch aus. Borderline, und darf jetzt wieder nach hause, trotzdem,
zweimal die Woche Therapie aber, einmal Gruppe, einmal alleine, wegen der
suizidalen Tendenzen oder so ähnlich. Und Paartherapie, alle vierzehn
Tage. Alles was recht ist.
Es hätte so schön sein können. Alles verlief nach Plan, wir
waren locker und gut gelaunt. Vielleicht ein kleines bisschen misstrauisch,
weil es so glatt ging. Meisstens habe man es ja doch irgendwie im Gefühl.
Und versicherten uns ständig gegenseitig, wir würden uns nicht
unterkriegen lassen. Komme was da wolle. Ab jetzt. Wir wären ja noch
jung. |
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ut,
reiche Freunde zu haben sagt Lischke mit vollem Mund, Lammbraten, und spült
den mit Rotwein runter. Grand Cru. Wischt sich den fettigen Mund mit dem
Handrücken. Und sie, zu den anderen gewandt, jetzt rülpst er gleich,
bestimmt. Und dann rülpst er. Obs schmeckt fragt die Irin. Einen juristischen
Rat bräuchten sie, hatte Lale am Telefon gesagt, es gäbe da Schwierigkeiten
und dann waren sie gleich eingeladen. Eine Reise nach Wilmersdorf. Schon
die Treppe will einschüchtern. Dunkle Täfelei im Treppenhaus,
Sisal rot, messingknöpchenbefestigt auf den breiten Stufen. Und ein
Aufzugmonster. Schwarz vergittert.
Der Tisch ist neu, aber er macht Probleme, wenn man ihn abwischt bröselt
was raus, schau, die kleinen Riefen, es werden immer mehr. Abschleifen,
drei Millimeter, Lischkes Vorschlag, aber Conrad denkt, er sollte das lieber
reklamieren. Ganz schön lang für vier, der Tisch. Aber Ahorn.
Lischke kommt mit runter Zigaretten holen und findet, sie sähe ganz
entzückend aus, wie sie schwankt, wenn sie mit den spitzen Absätzen
in den Rillen zwischen den Pflastersteinen hängen bleibt und dann so
leicht einknickt, in der Hüfte. |
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&D
sind auch da, D. fragt, wie lange sie denn schon verheiratet wären,
Lale lacht, Lischke sagt haha und meine Freundin ist gerade auf Hawaii.
Das stimmt sogar. Ein Mädchen aus Porzellan. Ein junges. Ihr schlaft
lieber hier bestimmt die Irin und bezieht die Betten weiss, eines im Wohnzimmer,
eines im Esszimmer, das kleine für Lischke.
Sie wacht auf von Lischkes Zunge im Ohr. Ey, sagt sie, lass das, bin völlig
betrunken, und er, ich auch, hab mit Conrad noch den Whiskey leer gemacht.
Als es ein bisschen lauter wird, hält er ihr den Mund zu, damit die
reiche Heirat nicht gefährdet wird. Denn die Esszimmertür steht
offen. Sie lacht laut als sie wieder kann, er vermisst die Erotik. Pass
auf, dass du nicht hier einschläfst, was würden bloss die Leute
denken. Dann, Ernest liegt am Fussende und Lischke wieder in seinem eigenen
Bett.
Morgens herausschleichen, die Tür lässt sich nicht weit öffnen,
denn Ernest hat auf das Parkett gekotzt. Direkt vor die Tür. Hatte
einen Gummistöpsel gefressen, auf der Stasse, der ist jetzt raus. Mittags
hängt Lischke am Tresen, ganz gegen seine Gewohnheit, und flüstert.
Flüstert, obgleich keiner da ist ausser ihm, du kannst aber nicht schwanger
sein, oder? Und sie sagt, vielleicht nicht. In Teufels Küche, glaubt
er. Du sagt sie. |
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ie
Bar gehört der Mutter einer Freundin von irgendwem. Das Berliner kostet
3 Euro und die grosse Apfelschorle, Lischke fragt gleich misstrauisch warum
sie Schorle trinkt, 2,50. Aber alle sind da. Sie sitzen ganz am Rand, im
Rücken eine helle Lederwurst, rauchen bei guter Sicht. Der neben ihr
ist Schwede sagt er, und Anfang Dreissig, das sei gar nicht schlimm. Besser
als Ende zwanzig allemal. Sie ist sich nicht sicher. Dann fängt es
an und Berend singt ganz wunderbar, wir lauschen und klatschen und rauchen
mehr und denken an bessere Zeiten. Und singen mit, leise natürlich:
als etwas schief ging und die welt brach über mir zusammen
schlich ich durch die nächte und versuchte mich zu überreden
alles sei sehr einfach
das glück es kommt wenn man es nicht erwartet
demzufolge dachte ich sei dies wohl der perfekte zeitpunkt
ich sagte mir ich sollte mutig sein
doch wenn es wehtut fällt das mutig sein so schwer
ich weiss wohl was das heisst doch ich bin schwach
zweitens hatte alles auch sein gutes denn wer leidet lernt
und viele leute glauben fest das leben sei zum lernen da
leiden lernen bis zum sterben?
egal es klang nach einer chance
alles was ich brauchte war ein trick
...
und ausserdem traf ich ja nicht zum ersten mal auf dieses problem |
|
lle
sind da. Ausser Django. Es gibt da ein paar Schwierigkeiten, aber wir werden
das schon hinbekommen. Wer kümmert sich eigentlich um den Köter?
Ihr seid wirkliche Freunde, das ist toll, wenn man wirkliche Freunde hat.
Ich denke das wird schon. Höhö.
Versau es bloss nicht, aufbrausendes Mädchen, wir brauchen diesen schleimigen
Arschkriecher. Sei still. Zähl bis hundert meinetwegen, aber halt die
Fresse. Er ist der Einzige, der uns überhaupt zugehört hat. Der
Einzige, der diesen verdammte Brief gelesen hat und an dessen hagerer Vorzimmerdame
wir nicht gescheitert sind. Wir haben keine Wahl und Django schon gar nicht.
Also bitte.
Ja, wir haben einen Wohnungsschlüssel. Ja, die Wasserleitungen werden
nicht einfrieren, ja, Toiletten sind natürlich besonders gefährlich,
jaja, eine schreckliche Sauerei. Ja, um die Pflanzen auch, haha, ein Witzchen,
Sie haben ja einen tollen Humor, mein Herr.
Weisst Du, ich mach das nicht mehr hat Django gesagt, das ist doch Irrsinn,
du trennst deinen Müll und wir verbrennen hundertausend Liter Heizöl,
mitten in der Brandenburgischen Pampa, weil der Rauch am besten aussieht,
eben ganz echt. Wir haben diese ganze beschissene LPG abgefackelt. Ich mach
das nicht mehr. Keine Kriegsfilme, keine bekloppten Regisseure, kein Krawummrauchdreck
mehr. Schluss mit Stalingrad. Gibt schliesslich noch andere Geldquellen.
Sind halt ein bisschen unsicher. Allerdings. Blödmann. |
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ehn
Euro in Münzen. Ein Glashaus, eine Art Bushaltestellenhäuschen.
Draussen. Nummer ziehen, wie beim Arbeitsamt und einen Zettel aus dem Holzkästchen
nehmen, ausfüllen. Die Nummer wird aufgerufen. Der Mann hinter der
Glasscheibe der Anmeldung ist sehr unfreundlich. Zettel zeigen, Ausweis
abgeben. Durchgehen zum zweiten Warteraum, da kann man noch Mitgebrachtes
lesen. Summer. Tür. Der Reihe nach. Alles in die Schliessfächer,
die sind sehr süss, fünfzigermässig, türkis lackiert
mit Milchglasscheiben ausser den 10 Euro und dem Schlüssel. Abtasten,
hinter einem Vorhang, Damen und Herren getrennt. Am nächsten Schalter
den Zettel abgeben, der Mann brüllt immer ganz laut, elektronisch verstärkt,
durch seine Scheibe, gerne auch in Deppendeutsch. Du Geburtsdatum hier.
In den letzten Warteraum gehen. Der hat kein Fenster, aber eine Wand aus
Glasbausteinen und eine gemütliche Kinderspielecke ohne Spielzeug,
lila Einlegware, auf der inzwischen auch Stühle stehen. Manche reden
miteinander. Die meissten starren. Die Uhr tickt laut. Nix mehr lesen. Mit
Geldstücken die Farbe vom Schlüssel kratzen. Oder Muster in den
Tisch. Bilder anschauen, zwei Fotos, schwarzweiß. Alle zehn Minuten
Aufschliessgeräusche. Sehr ausführlich. Aufgerufene Namen: Für
Scholz, Kaya, Ugurel, Griep, Petrovic. Reingehen.
Links ist ein langer Gang, rechts ein Raum voller Tische und Stühle.
Am Eingang sitzt einer. Füllt Sachen aus. Und schaut auf die Uhr. Umarmen.
Moment. Mit dem Münzgeld am Ende des Ganges die Automaten füttern.
Süsskram, Snickers mag er am liebsten. Zweimal Multivitaminsaft ACE,
der Gesundheit wegen. Zwei Päckchen Tabak, Blättchen sind drin,
und zwei Cappucino komplett. Snickers und ein Tabakpäckchen in die
Hosentasche, eins zwischen die Zähne, Saftflaschen unter den Arm, Plasikbecher
mit Instantheissgetränk so tragen, dass man sich nicht die Finger verbrennt.
Hinsetzen. Nippen.
Ungefähr eine Stunde, dann kommt der Mann vom Eingang und legt einen
Zettel auf den Tisch. Verabschieden. Bis dann. Ich schreib Dir. Wieder den
Gang entlang. Summer. Tür. Ein Treppenhaus mit mehr Glasbausteinen.
Summer. Tür. Anmeldung, Rückseite. Man kriegt seinen Ausweis zurück.
Drehtür, automatisch. Summer. Grosse Tür, sehr schwer. Frische
Luft. Bis zum nächsten Mal. Dreimal im Monat, noch zweieinviertel Jahre.
Dreieinhalb Stunden, wenn es gut läuft. |
|
ei
Unwetter auf dem Hof sitzen, auf rotmetallenen Bistrostühlen, die hat
Lischke mal aus einer stillgelegten Eisdiele geräumt. Lischke sammelt
komische Sachen. Dazu gab es auch eine Eismaschine, die es trotz des grossartig
graubraunostigen Rezeptbuches bisher nicht zu geniessbarem Speiseeis gebracht
hat. Oder deswegen. So sitzen sie eben und trinken Alkoholisches, sie auch,
er ist beruhigt, fürs erste. Die sehr kahlgeschorenen jungen Menschen
von der Treberhilfe pöbeln ausnahmslos, den Hof überquerend, die
Hände in den Hosentaschen und federnd in den Knien, auf dem Weg zum
Nachtquartier. Spucken mal lässig aufs Pflaster zwischen unflätigen
Bemerkungen. Lischke findet, die sollten ordentlich rangenommen werden,
weg von der Strasse, Zucht und Ordnung und so, ja sagt sie, die könnten
Autobahnen bauen, zum Beispiel. Und früher hats ja sowas nicht gegeben.
Es wird kühl, schliesslich ist ja noch Winter, und wir trinken und
wickeln uns in die dicken Jacken, karierte Decken um die Beine und schauen
noch einen Moment den Tulpen beim Wachsen zu, die strecken die Hälse
raus unten in dem Loch, das mal eine Treppe war und wo alle ihren Müll
reinwerfen, so dass da ein schöner Kompost ist inzwischen. Und Taubenmänner
vergewaltigen Taubenfrauen im Abendlicht. |
|
ine
richtige Party. In einer Wohnung mit Tapetenshow der letzten 25 Jahre. Kein
was machst du wo wohnst du, heitere Tanzmusik noch dazu und ein schwankender
blonder Engel an ihrer Seite, der erzählt, er seziere Leichen für
Geld. Den hat sie unterwegs gefunden, hey, wir kennen uns doch von früher,
stimmt. Sie muss aufpassen, dass der keinen Ärger kriegt oder umfällt,
er pöbelt dauernd rum und rempelt die anderen an. Keine Ahnung, was
der genommen hat. Wer hat den denn mitgebracht. Lischke ist auch da, mit
seinem Mitte-Girl. Dem anorexischen. Ein bisschen Bräune steht ihr
gut. Das Leben geht weiter sagt er. Und grüss schön, den Django,
das nächste Mal.
Früh morgens nimmt sie den Engel am Arm (was nicht einfach ist, denn
er ist sehr gross und wehrt sich) um ihn nach hause zu bringen, er hatte
darum gebeten und wohnt nicht so weit. Auf der Heimfahrt ein kurzer Versuch,
sich zu unterhalten, es klappt gar nicht. Der Nebel ist dicht, direkt vor
dem Auto ist die Welt zu Ende, genau passend zur Musik. Immerhin kann er
sich noch an seinen Heimweg erinnern, vor der Tür versucht er sie zu
küssen, besoffene Männer fände sie zunehmend aufregend, sagt
sie und schupst ihn aus dem Auto. |
|
eute
darf mal jeder sagen, was er will. Wir beide. Also. Lischke : Ich nehm keine
Tramper mehr mit, die siezen mich immer, da fühle ich mich alt. Und,
heuristisch, es gibt zwei Sorten von Frauen, die, mit denen man zusammen
ist, beziehungsmässig, die man dann auch heiratet, wenn sie wollen,
und die mit denen man die betrügt. Verlassen wird die erste Kategorie
wegen der zweiten aber nicht. Soso. Eine grössere Wohnung. Und ein
gescheites Auto. Ob das Erwachsenwerden ist.
Ernst sagt, das Auto macht das noch. Er hat ein bisschen hier und da geschraubt
und geschmiert und eine ASU-Plakette gab es auch. Aber kaufen tut das keiner
mehr, Alufelgen von 1985, ja toll. Entsorgung kostet 80 Euro, die Winterreifen
sind aber noch ganz gut. Ernst macht das abends. Das bisschen schrauben
und schmieren. Ich laufe um die Hebebühne herum, stehen lassen sei
viel schlechter als fahren sagt Ernst, der Rost, ey, überall. Neue
Kühlerhaube? Hätte fast die selbe Farbe. Ick schwör. Über
der Werkbank hängt: Für 25-jährige treue Mitarbeit und vorbildlichen
Einsatz, blablabla. Und Katie Price. Finger am Overall abwischen. Lischke
schaut so, das würde der nie machen, so Drecksarbeit. |
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rnst
ist der Ansicht, dass intelligente Frauen immer an Arschlöcher geraten.
Er erkenne da einen deutlichen Zusammenhang. Genau kann er es nicht erklären.
Aber die würden sich wohl gerne schlecht behandeln lassen. Ob die das
brauchen?
Die Prioritäten seien da eben eindeutig, bis heute Abend habe er draussen
zu sein sagt sie, da kommt ihre beste Freundin und die braucht einen Unterschlupf.
Als die dann da ist und sie sitzen, mit den Beinen verknotet auf den Plasikklappstühlen
findet die beste Freundin, Lales Verschleiss sei doch enorm inzwischen und
wie sie das sehe mit der Liebe. Glaubst du denn noch an die Liebe? Und Schlimmeres.
Lischke tritt ein und hat einen üblen Haarschnitt. Als er da sass,
bei der zu hause, er hat ja eine Privatfrisöse, aber schon eine gelernte,
und gewartet hat, weil sie noch Tee kochen musste, sie braucht Tee zur Konzentration,
habe er im Zeitschriftenstapel gewühlt. Wie man das eben macht beim
Friseur. Junge Freiheit. Zwischen Brigitte und Fokus. Wie verhält man
sich denn da? Das ist doch enorm peinlich. Ich meine, sowas will man ja
eigentlich nicht wissen von seiner Frisöse. Ich, also Lischke, heb
das Ding dann aber hoch und frage (versöhnlich): Konservativ? Und sie:
Ne, wertekonservativ. Oh Gott. Wo wird das noch hinführen? |
|
ie
Beine baumeln zu den gelockerten Zungen und sie sei nicht schwanger teilt
sie mit, was er denn gemacht hätte, er lacht und legt den Finger auf
den Leberfleck auf ihrem Hals. Für immer in dich verliebt sagt er,
ein Jugendtrauma, das Porzellanmädchen wäre gegangen natürlich.
Ein guter Vater zu sein, das hätte er versucht. Und sie lehnt sich
ein bisschen an, ganz ausnahmsweise, weil er so gross und stark ist. Die
Amseln singen laut, kaum mehr Musik, alle sind ganz langsam und von einer
hellen Staubschicht überzogen, ein zartes Ballett auf Bohlen, ein paar
Leuchtpunkte in der Luft, die Fenster, die nicht klemmen, stehen weit geöffnet
und lassen Sonnenluft herein. Nach dem Wasser wieder Bier. Auch der Mann
der die Platten auflegt hat eine Abtreibung und allerhand anderes Unglück
erzeugt. Zu Fuss nach Hause. |
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achts
ruft der Borderliner an. Er ist raus. Betrunken. Lange nicht gesprochen,
sie sagt es ist mitten in der Nacht und lass das, er redet schnell, schreit
und weint und sie: ich leg jetzt auf. Dann legt sie auf und irgendwann den
Hörer neben das Gerät. Immer wieder. Verrückt. |
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rnst
sei ein Künstler, findet Lischke, die schwarzen Finger betrachtend,
die hier ein bisschen wackeln, dort drehen, das fasziniere ihn, dass jemand
jedes Rädchen kenne in diesem Autogerät. Wie ein guter Arzt. Wissen
Sie, es ist ein pochender Schmerz, sehr stark, aha sagt der und notiert
unleserlich auf den Rezeptblock. Ich nehm drei von den kleinen Wunderpillen
und zackzack, bin wie neu. So bist du zu meinem Auto. Es kann losgehen sagt
Ernst, der längst keinen Führerschein mehr hat. Und während
sie sich immer mehr verfahren blühen die Osterglocken. |
|
as
Porzellanmädchen ist auch da. Wie es sich für ein solches gehört
sitzt sie still und hört zu, wenn sich die Grossen unterhalten. Djangos
Wohnung auflösen. Oder nicht. Wann kommt er denn raus bei guter Führung?
Soweit kann hier keiner denken. Und wenn Du sie nimmst sagt Lischke und
das Porzellanmädchen zuckt zusammen. Wir beide, Nachbarn, olala.
Wir beide Nachbarn. Ein Dach mit Zinkwannen und Blick auf den heiligen Turm,
Fabrice den unschlagbar schwulen Marmormaler mit der lauten Musik. Sonne
von allen Seiten gleichzeitig, so kommt es mir vor jedenfalls, sagt sie.
Mein Vater ist gestorben sagt er. Der Säufer. Absehbar. Und gehste
hin? Mensch, da sind alle deine Halbgeschwister, interessiert Dich das nicht
etwa? Mir reichen meine eigenen Lischkegene. Sowas kann sie nicht verstehen,
das Einzelkind. Das Porzellanmädchen blättert ein bisschen im
Comic. Frisiert seine schmalgezupften Augenbrauen mit Spucke auf der Zeigefingerspitze,
der rechten. |
|
ch
erzähl dir was. Was von Osterglocken. Aber morgen.
Da gibt es noch einen. Einen dessen Anrufe sie selten annimmt. Dessen Stimme
sie mag aber, sagt sie und seinen Geruch. Die Unterhaltungen allerdings
seien eher schwerfällig. Sie rutscht mit der untergeschlüpften
besten Freundin vor dem Fernseher herum. Was mit Liebe. Alle lieben sich.
Im Film eben. Man kann ja auch mal anrufen.
Er freut sich ihre Stimme zu hören. Drunter und drüber gingen
die Dinge seit dem letzten Wochenende, er habe da jemanden kennengelernt.
Nach ein paar Cocktails. Frisch verliebt, der Frühling schon klar.
Hitze steigt auf. Die beste Freundin ist ohne Mitleid. Den wollste nie,
Prinzessin. Ja, war aber gut, dass er da war.
Lischke sagt mitten hinein ins Gejammer, am Strohhalm entlang in den Vodka
mit Saft, verdammte Unverbindlichkeit, deine Unverbindlichkeit, die kann
man nicht aushalten. Das Porzellanmädchen ist schwanger. Herzlichen
Glückwunsch. |
|
ischke
hat den nackten Fuss, der andere steckt noch im Socken, auf dem Tisch abgestellt,
lehnt sich nach vorne und knippst an seinen Fussnägeln. Er macht das
so, dass sie nicht wegfliegen, das letzte Stück sehr vorsichtig, und
legt es dann in den Aschenbecher. Ernest, der nicht nach Ernst benannt ist,
wie der neulich unterstellte, ist zufrieden, wenn er manchmal ein Stückchen
Horn erwischt. Das ist lecker. Lale sieht schlecht aus. Blass. Lale schläft
nicht gut. Vergiss ihn sagt Lischke, was finsten an dem. Sie hängt
quer über dem möblierten Zweisitzer und streicht den Cord gegen
den Strich, Schachbrettmuster.
Der ist es aber sowieso nicht, auch nicht der andere, ich fühl mich
alt sagt sie und allein, und diesmal schreie ich obwohl es nicht meine Art
ist. Fang du nicht auch noch an mit dem Scheiss. Mach mal bisschen Sport.
Bewegung. Wirkt Wunder. Und dann die ganze Leier mit Ihrhabtechtnixbessereszutun.
Scheissluxuriöse Panikatacken. Nicht hintensitzen im Auto. Keine Parkhäuser,
geschweige denn Tunnels. Nicht Einkaufen, fliegen, Essen mit mehr als sechs
Leuten, nicht alleine schlafen, nicht mit geschlossenem Fenster, nicht höher
als der dritte Stock. Solange du nur normal bist sagt Lischke, der mit dem
einen Fuss fertig ist. Nimmt sich den anderen vor. Ich geh. Heim. |
|
ischke
heulerisch. Das Mitte-girl, das aus preussischem Porzellan, ist gegangen.
Nicht ohne die klitzekleine Information, das Kind sei vielleicht gar nicht
von ihm. Vom Verflossenen oder noch einem anderen. Jedenfalls gedenke sie
es nun in Ruhe zu bekommen, ohne einen Kerl der Geschirr wirft, frühmorgens.
Recht hat sie sagt Lale, steht aber trotzdem zur Verfügung, tränentrocknend
und die fechte Hand haltend. Was täte ich ohne dich jammert der Kerl,
wiedermal und recht hat er. Das Mitleid ist nur mittelecht, das Wetter dafür
gut, und deshalb raus an die Luft, eine tolle Idee findet sie, er latscht
ihr nach, mit hängenden Schultern, um auf einem Friedhof zu spazieren.
Zwischen Scilla und ein paar Christrosen auf dem Grab von Samuel Seydemann,
zwei liegen verschlungen auf einer Parkbank im Licht und Lischke bekommt
gleich wieder feuchte Augen. In der Friedhofsmauer sind Fenster. Eisessen
hilft auch nicht. |
|
chliesslich
sind wir gute Freunde. Lischkes Zustand will sich nicht verbessern. Also
raus an die See, das hat noch jedem geholfen. (Oder so.) Er möchte
selbst fahren. Da wird einem ja schlecht sonst, kurz aber bevor die Frauen-und-Autofahren-Diskussion
beginnen kann haben wir schon anderen Streit. Das Auto ist gut in Schuss,
satte 140 auf der Geraden, und eh man was zu Ende bringen konnte sind wir
angekommen. Alles wie immer. Bloss Django ist eingesperrt, wegen Verstoss
gegen das BMG. Wir anderen haben eigentlich besseres zu tun. Aber die Luft
ist gut, und Lale hat sich sogar die Beine rasiert, weil man ja nie weiss.
Vom Bodden zum Meer sind es nur fünfhundert Meter. Der Fischer ist
da und in Euro noch immer teuer. Aber geräucherter Fisch hat noch jedem
geholfen. Zum Bier. Wir trinken zuviel, schlimm sei das nicht, denn wir
sind ja nicht allein immerhin. Ist erst dann bedenklich.
Liebe, da sind sie sicher, obwohl man alle Geschichten kennt und die Positionen,
die politischen mitsamt Argumenten, und die zum Leben, aber gute Freunde,
das reicht doch eigentlich. Avantgardistisch sei das zwar nicht. Und wisst
ihr noch, früher, als wir noch unsterblich waren und unser Zynismus
charmant. Früh schlafen gehen. |
|
eisst
Du noch, Lischke nuschelt schon, wie wir hier versucht haben unsere Liebe
zu retten. Als sie vor dem Svantevit sitzen, dem Holzhaus mit den ungeheuerlich
geschnitzten Köpfen an den Enden der dicken Balken. Mmmh sagt Lale,
die anderen schlafen, es war ein langweiliger Abend. Klar weiss ich noch,
auch an deinen tollen Vorschlag kann ich mich erinnern, wir könnten
ja öfter mal mit anderen ficken um bei uns wieder ein bisschen Schwung
reinzubringen. Hat dann auch prima geklappt, oder, dreht den Kopf weg von
ihm, schenkt etwas Wein nach, roten, und fischt die toten Tiere aus dem
Pressglas. Lischke: Immerhin sitzen wir immer noch hier zusammen, wie aneinandergekettet
kommt mir das vor manchmal, ein Urteil, ein lebenslängliches. Das hätte
er hübsch gesagt findet sie. Sagt sie. Schiebt den Arm weg und nimmt
sich den Pullover stattdessen. Man kann sogar das Meer rauschen hören.
Wenn man still ist. |
|
ie
zappelt auf der Türschwelle herum. Was will die denn hier. Na komm
rein sagt Lale und starrt auf den mageren Bauch. Viel Kind ist da nicht
zu sehen. Sie wollte nur, also ob Lale denn Lischke, ob er böse sei,
also ob sie ihm sagen könnte, es sei nicht persönlich gemeint.
Das ist gut. Passt genau. Sie ziehe zurück ins Schwäbische, mit
Lischkes Vorgänger und der bekommt Arbeit in Vatis Firma, hat ja schliesslich
BWL studiert. Baumaschinen. Ja toll sagt Lale, dann sind ja alle versorgt.
Ein Mitte-Girl im Schwäbischen. Wars das? Das wars.
Ein anderer Film, der parallel abläuft: Lischke zu Ernst, in der Werkstatt.
Und wenn es meins ist? Mein Sohn? Ernst zuckt mit den Schultern, mag Mädchen
lieber. Wie meinste das fragt Lischke. Mein Freund sagt Ernst, jetzt fehlt
noch der Baum, das Haus geht dir mit dem Sohn durch die Lappen, da heisst
es wohl von vorne anfangen. Kein Baum, kein Sohn, kein Haus. Vorallem kein
Mädchen, dass dir Kaffee ans Bett bringt morgens.
Sei endlich froh sagt Lale. Baumaschinen. In Württemberg. Gibt es Schlimmeres?
Du hättest deine eigenen Schwiegereltern nicht verstanden. Lischke
heult. Mein Sohn. Lale heult auch, aber wegen was anderem. |
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ischke
braucht Geld und will mal wieder das Auto verkaufen, kann Ernst damit zu
Lachen bringen. Der Kommunist hat nichts vererbt, ganz nach Kommunistenart.
Dann sagst du, sagt Ernst, zum Kunden, also die Armaturen sind nur beleuchtet,
wenn das Radio an ist. Das Radio habe ich aber ausgebaut, denn das war geliehen.
Wenn man die Innenbeleuchtung anmacht, zu Kartenlesen zum Beispiel, geht
alles aus, dafür das Fernlicht an. Der Heckscheibenwischer wischt nur
die halbe Scheibe. ASU ist nicht echt. Ne, das sag lieber nicht. Der Beifahrersitz
lässt sich nicht mehr nach vorne klappen und ist ausserdem völlig
nach innen gedreht, so dass man einen Bandscheibenvorfall bekommt, wenn
man länger drin sitzt. Die Kupplung kommt auf dem letzten Millimeter
und ist toll für die Beinmuskulatur, vorallem, wenn man in der Stadt
fährt. Der dritte Gang geht selten rein. Zum TÜV kann man nur
mit den Winterreifen, denn die Alufelgen der Sommerreifen müssten eigentlich
in die Fahrzeugpapiere eingetragen werden. Dann sind da noch die Rostlöcher
in der Motorhaube und der Riss in der Windschutzscheibe, der ist aber ganz
neu. Seit der Sache mit dem LKW gehen die Türen nur noch selten richtig
zu. Ja und Zentralverriegelung haben wir auch, leider ist die kaputt. Aber
die Bremsen sind ganz ok.
Schon gut sagt Lischke. Ich ruf nochmal bei der Filmförderung an. |
|
er
hat dir schon beim letzten Mal nicht geschmeckt sagt sie. Das Fräulein
bringt den Wein, der Lischke nippt, schon ist sie weg, das Fräulein,
und ruft Fräulein. Der schmeckt mir nicht, lächelt das bombensichere
Lischkelächeln und was machen wir denn da. Bloss ein hartgesottenes
Fräuleinschulterzucken, nimmt ihm das Glas aus der Hand, ich bring
einen anderen. Sauer oder teuer? Also sauer. Ungerührt.
Lischke nagt an seinem Tellergericht, ein überdrüssiges Gabelscharren
in der türkischen Mahlzeit, ein maulfaules Stieren und sie sagt, ich
kann auch gehen.
Ein Vaterschaftstest soll her jetzt kriegt er heraus und schon wieder geht's
ums Geld, das elende, das Leben meine es nicht gut mit ihm findet Lischke
und sie lacht und wickelt Haar um ihren Finger. Verliebt sagt sie, sei sie
und er lässt die Gabel fallen. Ne, oder. In mich? |
|
ie
sitzt auf dem Randstein, mitten im urbanen Staub, so nennt Lischke das,
und stiert und er sagt kommst du jetz oder was. Lass mich, nur ein paar
Minuten, allein mit dem Schwindel, geh, ich warte hier. Stattdessen setzt
er sich daneben: Sachen wie wusste ichs doch, kommt davon und sie lauter,
ich warte hier auf dich. Er geht dann tatsächlich.
Der Taubenmann, wie ein Ballon umkreist die Taubenfrau, an seinem linken
Bein hängt eine Schnur, einen halben Meter lang und es fehlt ein Zeh
am anderen, immer rum um die Frau, schleift die Schnur durch den Dreck und
zeichnet Muster der Liebe. Sie eilt, wippt mit dem grauen Kopf, immer weg
von ihm, dem aufgeblasenen Kerl, er kapierts nicht, sagt sie laut und Lischke,
der neben ihr steht, schon wieder zurück, was? Scheiss Tauben. Sie:
Scheiss Taubenhasser. |
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achtrag
Django
Fährt mit dem Finger langsam über die Narben, schmale Grade, eine
nach der anderen. Dünne Streifen. Helle. Unter den Narben beginnen
die Bilder, die kamen nach den Narben, die Elfen, zu denen Django Geschichten
erzählt, wenn man ihn fragt. Zu den Narben gibt es nur eine, eine kurze.
Er summt. Sie hat die Augen geschlossen, langsam an seinem Oberarm herunter.
Absolution hat er gesagt, deswegen hat er gleich alles erzählt, auch
das was sie nicht wussten, das hätten die nie rausgefunden, so ein
Scheiss, findet Lischke, dieses katholische Zeug, sich die Erlösung
einzukaufen. Wie soll das denn gehen. Für Django geht das, aber der
haut sich eben selbst in die Fresse und nicht andern. Krank.
Im Dritten wohnen jetzt die aus der Grossküche, lärmen auf dem
Dach herum, dabei ist es unser Dach und da wird nur leise gesprochen, Marinade
für Sushi brüllt der mit den Schweinsäuglein, zehn Liter
Essig und ein Kilo Zucker, der andere weiss es irgendwie besser und so weiter,
werfen ihre Kippen in die Zinkwannen. Da wachsen jetzt lila Petunien. Man
sollte die runterschubsen, die Küchenjungs. Dann wäre wieder Ruhe.
Machen wir morgen. |
|
ie
quetscht sich so hinten in die Ecke, dass sonnenklar ist, wenn hier einer
aufsteht wegen unerträglichen Schweigens, sie wird es nicht sein. Wir
starren feindselig über den Tisch herüber und zurück und
Lischke versucht irgendwie zur Entspannung beizutragen. Ich geh dann mal
Zigarettenholen, Schlauberger, und haha, Durchbrennen mit neun Euro, Telekomaktien
anschaffen und von der Rendite lad ich euch ein in mein Haus am Meer. Die
Feindin schaut blöde eisig aus ihren Hustenbonbonaugen raus und sagt,
toll, und auch so unverbindlich, mit den Männern anderer Frauen zu
schlafen. Muss Spass machen. Bis jetzt kann ich kaum klagen sagt Lale und
probiers doch auch mal, und gut ist dass Ernst hereinweht, mit der Flasche
in der Hand. Nachschenken meine Schönen? Seine Hand auf Lales Schulter
legt und so die Fronten klärt. Er ist eine Granate im Bett. Wirklich.
Morgens in der Küche ist dann wieder die Rede von Angst.
Und dann zum Pferderennen. Mit Hut. |
|
xistenziell,
also, oder essentiell, jedenfalls wichtig, hör doch, sagt Lale, ich
weiss nicht, die Angst wird immer mehr.
Lischke schreit, ja geil da machen wir einen Splitscreen, rechts drei kleine
Dinger, da sieht man dann die Verfolgungsjagd und die Folterszene und noch
was fettes, und dann so interaktiv, mit aussuchen, ob sie nackt ist oder
nicht. Und die schwanenhalsige Schauspielerin drückt ihre Halswirbel
und alles nach vorne und zirpt, und meine Rolle, könnte man die auch
ein bisschen grösser schreiben. Klar sagt El Lischke, Puppe.
Als sie auf dem Klo ist erklärt er uns, weder Dialoge noch Schauspieler
seien wichtig, die sind doch nur ein bisschen Emotion in einer Bildwelt,
also in meiner, gute Schauspieler machten eigentlich überhaupt nichts,
und auch sei es ja gleichgültig, wovon sie redeten. So wie De Niro
in Taxi Driver, der spricht über Spaghetti. Dann sitzt sie wieder neben
ihm. Kuschel. Lale zittert, erst nur an der Zigarettenhand, dann alles,
die Lider flattern bei geschlossenen Augen, schiebt die eisigen Hände
zwischen ihre Oberschenkel, Zähne zusammen. Na sagt Lischke. Schön
hier, mit euch. |
|
ir
ist langweilig sagt sie, ein Kick, ich bräuchte einen Kick, sogar den
Dealer bezahlt man mit Kreditkarte. Das ist langweilig. Graffiti geht nicht
für Frauen, Lischke mischt sich ein wie immer, denn die können
nicht schnell genug laufen, das ist das Physische. Die entscheidenden fünf
Sekunden. Auskenner. Und dann kommt die unvermeidliche Geschichte mit den
Magneten an den Böden der Sprühdosen, damit sie nicht klappern
beim Wegrennen.
Mir ist langweilig sagt sie, ich kann doch nicht mein Leben lang dagegen
antrinken, ist ja ungesund. Dann wird es noch schlimmer. Eine riesige Sonnenbrille
auf die Nase schieben. Die finden sich so originell, kommen an und labern
Dich voll, wie grossartig Du bist, wie besonders, und finden sich originell.
Natürlich bin ich grossartig. Am schlimmsten sind Freunde. Langweilig.
Sitzen rum und sind langweilig. Bilden Paare, machen Kinder und trennen
sich wieder. Heulen rum. Dann wieder. Neue Paare, neue Kinder. Und erzählen,
was sie in der Zeitung lesen.
Jaja (ich). Ihr könnt mich heute nicht ärgern. Ich bin aus Gold. |
|
h
sagt sie und möchte ihm die Tür vor der Nase zuknallen, naja komm
rein, der Borderliner, da steht er mit höchstens fünfzig Kilo.
Bei einsneunzig. Sitzt krumm am Küchentisch, die Stühle sind ja
immer zu klein, verschämtes Lächeln und sie schiebt den Zucker
rüber, er streut ihn auf Milchschaum.
Das Fenster ist offen, Sommer schliesslich, und die Elstern geben alles
um daran zu erinnern, dass das Leben kein Spass ist. Aha. Er wohnt wieder
bei Mutti, Mutti lag im Spital, hat offene Beine, zuhaus im Bett und Borderline
bringt Lebensmittel, damit sie nicht verhungert. Sie spinnt sagt er, gestern
redet sie von meiner Hochzeit, mein Sohn hat geheiratet lallt sie, ohne
mich, mein Sohn ist ein Schwein und seine Frau auch. Die betrügt ihn.
Ich hör ihn, ihren Liebhaber, er kommt morgens mit einem Lastwagen.
Jeden Morgen. Und jetzt hat der sie geheiratet die Schlampe. Die ist verrückt.
Jaja sagt Lale, verrückt. Isst Du manchmal?
Und die Elstern singen süsse Lieder und das Abendrot knallt gegen die
Hauswand und bricht herein durchs Fensterloch und Borderline heult in seinen
Kaffee, den er nicht runterbringt, wie alles, und wenn sie stirbt, wo soll
ich hin dann. Theaterwissenschaften. |
|
r
hält sie am Kinn fest, steht dicht vor ihr, so, dass sie seinen Bieratem
riechen kann. Hau ab sagt sie, und er na mein Mädchen, meine Beste,
und kommt noch näher mit dem Kopf und grinst und sie haut ihm ihr Knie
in die Eier.
Er klappt zusammen wie ein Kartenhaus. Brüllt Schlampe. Dafür
reicht es noch. Sie rempelt durch den vollen Flur, raus hier, Treppenhaus
vollgekotzt, prima Party eben. Nasse Pflastersteine spiegeln, Strassenlaternen
liefern die Reflexe in orange, sie summt und raucht den Abschiedsjoint im
Laufen. Das wars. |
|
Ach
ja, den Theaterwissenschaftler habe ich dann doch geheiratet. Oder vielleicht
eher er mich. Und Lischke ist tatsächlich gestorben, nicht an einer
Geschlechtskrankheit, ne, ein fieser Virus, den man sich in Südeuropa
holt und in Nordafrika. Kleine fiese Dinger, die die Organe zerfressen,
nicht eigentlich schlimm, nur wenn man sie nicht behandelt, mit Antibiotika.
Davon hatte er wohl auch seine Mehlallergie.
Der Theaterwissenschaftler hat sein Versprechen wahrgemacht, wir haben jetzt
ein Haus, zumindest ein halbes, man nennt das DHH. Ernest hat geworfen,
und wir behalten die Kleinen. Wenn ich keine Lust auf Gassi habe lass ich
sie einfach raus und sie kacken auf den Rasen. Der 900 S ist fast abbezahlt.
Ein Pferd habe ich auch bekommen, einen Lipizzaner, sie ist noch ganz grau,
aber das wird, hat der Händler gesagt. Ich schreibe jetzt ein Buch.
Über mein Leben. Und Django ist Patentanwalt. Glaub ich. Ernst repariert
Autos. |
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und die gelbe Sau brennt
und die Kanone singt
und die Zikaden sagen
was sie davon halten:
es ist alles in Ordnung
Peter Licht |
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man wacht von innen nach außen auf
in der Vase der fiebrige
palmenfingrige Zweig dazwischen
die starren alternden Lilienblüten
die braune Locke das blasse
Gesicht in zu kommende Jahre gerichtet
vielleicht ein Regen innen
Novembergeborgenheit, aber ich sehe
an weiten Schnüren die nasse
Wäsche griechischer Marmorblöcke in sepiafarbener
Landschaft
Friederike Mayröcker |
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hoffe, es war auch ohne mich irgendwie ok.
Rafael H. |
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mpressum
: Lischkes Welt © by Lotos
veröffentlicht 11/01 - 01/02 auf www.imloop.de
Webumsetzung mario@imloop.de |
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